Donnerstag, 24. Dezember.

24.12.2020

Im vier Sekunden Takt ploppen die Weihnachtswünsche auf meinem Telefon auf. Es ist im Grunde wie in jedem Jahr. Aber trotzdem anders.

Dreiviertel meines Freundes- und Bekanntenkreises werden beruflich als systemrelevant kategorisiert. Hundert Prozent dieser Menschen meines Umfeldes sind müde. Erzieher*innen, Lehrer*innen, Psychotherapeut*innen, Pflegepersonal in Kliniken, Ärzt*innen. Alle sind müde und leer. Abgekämpft. Ausgesaugt. Für viele unter ihnen wird es ohne weihnachtliche Pause weiterlaufen wie bisher. Dienste, Dienste, Dienste. Und was kommt danach? Nach den Diensten? Was dann? Dann warten zu Hause in den meisten Fällen Kinder. Kinder deren Hausaufgaben kontrolliert werden müssen, Kinder die auch müde sind, Kinder die auch leer sind und eine Pause brauchen, Kinder die ihre Eltern derzeit dringender als je zuvor brauchen, Kinder die vor den ausgelutschten Hüllen ihrer Eltern stehen und genauso ratlos und ausgebrannt sind. Zwischen Notbetreuung und Lernzeit zu Hause liegen exakt drei Wutausbrüche.

Weitermachen.

Theoretisch würde ich mein klinisches Praktikum im Januar starten. Fällt aus. Unmöglich Abstandsregeln einzuhalten. Die Diagnostik steht derzeit auf äußerst wackeligen Beinchen. Und mal abgesehen von der Diagnostik psychischer Erkrankungen wird in den Kliniken gerade jede helfende Hand dringend benötigt. Die Zahlen von Kindeswohlgefährdung, häuslicher Gewalt und depressiven Patient*innen schießen in ungeahnte Dimensionen. Die Spätfolgen dessen sind nicht auszudenken. Aber ja. Wir wissen das ja alles.

Mein Arbeitsvertrag wurde aufgrund einer Krankheitsvertretung verlängert. Gut. Erstmal. Die Bachelorarbeit ist offiziell angemeldet. Achttausend Prüfungsleistungen stehen noch aus. Wenn ich derzeit erklären soll wie es in meinem Kopf aussieht, dann wäre die Vorstellung eines Tornados wohl am wahrscheinlichsten. Allein die Tatsache, dass ich heute drei Anläufe gebraucht habe um den Geschirrspüler auszuräumen, zeigt wie hoch konzentriert ich momentan bin.

Weihnachtswünsche. Keine Ahnung was da gerade angebracht ist.

Die Tage zwischen Weihnachten und Silvester sind eh schon immer zeitloser Raum für mich. Vermutlich wird es in diesem Jahr nicht anders. Aber die Theorie hinter diesem zeitlosen Raum ist einfach in diesem Jahr eine andere. Die Dimension von Zeit und Nichts, oder von Nichts und Zeit. In etwa wie bei Michael Endes "Unendlicher Geschichte". Die Frage ist hier tatsächlich wieder: "Was machen wir daraus?" Klar, wir alle brauchen eine Pause. Aber wird diese auch Regenerativ sein? Oder werden wir uns gerade wegen des Nichts und der Zeit einmal mehr in die äußeren Umstände denken?

Heiligabend.

Zeit sich anständig zu betrinken. Vielleicht fallen mir ja dabei Weihnachtswünsche ein.

J.

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